Die Vermessung der Wissenschaft
27 | 02 | 2014   

Über Wahrheit, Wissenschaft und Leitlinien

TEXT  Barbara Ritzert

Einstein prüft Studenten. Ein Student sagt zu ihm: „Sie stellen in diesem Semester ja genau die gleichen Fragen wie beim letzten Mal.” Darauf Einstein: „Das ist wahr. Nur die Antworten sind diesmal anders.“

Möglicherweise ist diese Anekdote nur gut erfunden – aber sie beleuchtet ein Grundprinzip von Wissenschaft: Diese liefert keine letztgültigen Wahrheiten, sondern allenfalls neue Antworten auf der Grundlage neuer Erkenntnisse. Den Umkehrschluss dieser Einsicht hat der deutsch-schwedische Biologe Jakob von Üxküll so auf den Punkt gebracht: „Die Wissenschaft von heute ist der Irrtum von morgen.“

Darum verwenden Naturwissenschaftler im 20. Jahrhundert den Begriff Wahrheit in Zusammenhang mit ihren Erkenntnissen kaum noch. Im Gegenteil: „Ideen, wie absolute Gewissheit, absolute Genauigkeit, endgültige Wahrheit und so fort, sind Erfindungen der Einbildungskraft und haben in der Wissenschaft nichts zu suchen“, konstatierte der deutsche Mathematiker und Physiker Max Born, ein enger Freund von Albert Einstein, der 1954 mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet wurde.

Doch was ist Wahrheit? Die ehrwürdige Enzyklopädie Brockhaus (Ausgabe von 1974, S. 789) versteht unter Wahrheit „allgemein die Vollendung des Wissens, die in jeder Erkenntnis angestrebt wird.“

Ähnlich formuliert es auch der Soziologe Rudolf Stichweh von der Universität Luzern in einem Interview mit der Zeitschrift Spektrum der Wissenschaft: „Wahrheit bleibt eine Letztbeschreibung für das, was man in der Wissenschaft anstrebt, hat aber in ihrer Alltagswirklichkeit vom 18. Jahrhundert bis heute zunehmend an Bedeutung verloren.“ „Moderne Wissenschaft“, so Stichweh weiter, „hat am Ende des 20. Jahrhunderts ein sehr klares Bewusstsein von der Ungewissheit, dem approximativen Charakter allen Wissens.“

Prinzipiell kann alles, was heute als gesichertes Wissen gilt, schon morgen durch neue Erkenntnisse relativiert oder widerlegt – falsifiziert – werden. Wissenschaft ist ein dynamischer Prozess, der von kritischer Diskussion und empirischer Überprüfung von Hypothesen lebt, die im Falle ihrer Falsifikation verworfen und durch neue Hypothesen ersetzt werden. Kurz: Wissenschaft wird von Irrtümern vorangetrieben, im Besitz der reinen Wahrheit kann sie nie sein.

Der Soziologe Niklas Luhmann bezeichnet Wahrheiten daher zutreffend als „Erschöpfungszustände der Wissenschaft“.

„Medizin muss Wissenschaft sein, oder sie wird nicht sein“, forderte bereits im Jahr 1905 Bernhard Naunyn, damals Präsident der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin. Der Diskurs über die Wissenschaftlichkeit der Medizin hat Tradition – und wird in den letzten Jahren intensiv geführt.

Ist die Medizin eine Art „Naturwissenschaft vom Menschen“ oder eher ein Aggregat aus mehr oder weniger wissenschaftlich basierten (Heil-)Künsten? Eine Flut von aktuellen Publikationen belegt den Bedarf der klinischen Medizin nach diesbezüglicher Selbstvergewisserung.

Der Grund dafür ist die sogenannte evidenzbasierte Medizin (EbM). Diese hat ihre philosophischen Wurzeln zwar im 19. Jahrhundert, begann sich aber erst seit den 1990er Jahren zunächst in der Medizin und mit einer gewissen Zeitversetzung auch in der Zahnheilkunde auszubreiten. Als evidenzbasierte Zahnmedizin (EbD = evidence based Dentistry) steht sie – wie die EbM – seitdem im Zentrum heftiger Debatten.

Für den Begründer der evidenzbasierten Medizin, den kanadischen Epidemiologen David L. Sackett, ruht die Praxis der EBM auf drei Säulen: auf der externen (wissenschaftlichen) Evidenz, auf der individuellen klinischen Erfahrung eines Arztes und den Erfahrungen und Erwartungen der Patienten. Entsprechend hat er EbM definiert: „The practise of evidence-based medicine means integrating individual clinical expertise with the best available external clinical evidence from systematic research.“ Und Sackett betont, dass die externe Evidenz die individuelle klinische Expertise des Arztes zwar beeinflussen, aber nie ersetzen kann.

Da jedoch kein praktisch tätiger Arzt in der Lage ist, die Publikationsflut seiner Fachrichtung auch nur annähernd zu bewältigen, haben Fachgesellschaften und wissenschaftliche Organisationen damit begonnen, Leitlinien zu entwickeln.

Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) definiert Leitlinien als „systematisch entwickelte Hilfen für Ärzte zur Entscheidungsfindung in spezifischen Situationen. Sie beruhen auf aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen und in der Praxis bewährten Verfahren und sorgen für mehr Sicherheit in der Medizin, sollen aber auch ökonomische Aspekte berücksichtigen.“ Alleine das Register der AWMF weist aktuell über 700 Leitlinien aus, wobei die Zahl der Leitlinien in der Zahnmedizin mit fünf noch immer sehr übersichtlich ist.

Dies hat zum einen mit der Zeitverzögerung zu tun, mit der die Evidenzbasierung in der Zahnmedizin ihren Einzug hielt. Gravierender ist jedoch, dass kontrollierte klinische Studien in der Zahnmedizin nur eine geringe Rolle spiel(t)en und im klinischen und universitären Alltag ein Denken im Vordergrund stand, „das auf klinischen Beobachtungen, theoretischen Überlegungen und Spekulationen gegründet war, von respektierten Autoritäten aber wie wissenschaftlich abgesichertes Wissen verkündet wurde“, konstatierte Donald M. Brunette 1996 von der University of British Columbia in Vancouver. Diese „Eminenz-Basierung“ hielt sich in der Zahnmedizin hartnäckiger als in der Medizin.

Doch die moderne Zahnheilkunde ist invasiver und biologischer geworden. Erkenntnisse, etwa über Entzündungs- und Regenerationsprozesse, schlagen Brücken zur Medizin und Biologie und befeuern neue Wege in der Forschung.

Das Argument, kontrollierte klinische Studien seien in der Zahnmedizin kaum möglich, verliert an Überzeugungskraft. In den chirurgischen Gebieten, etwa in der Implantologie, sind gut designte, nicht-randomisierte Studien eine akzeptable Alternative in jenen Bereichen, wo RCTs nicht möglich sind. Zwar steckt die EbD noch in den Kinderschuhen, doch die Basis für die Entwicklung von Leitlinien in der Zahnmedizin wird kräftiger.

Gleichwohl bleibt die Zahnmedizin an einem Punkt gegenüber der Medizin im Nachteil: Anders als Pillen und Tabletten handelt es sich bei Dentalprodukten um Medizinprodukte, die anderen Regularien und Zulassungsbedingungen unterliegen.

Klinische Studien sind auch darum Mangelware, weil sie oft nicht gefordert werden und die Hersteller darum darauf verzichten können. Doch auch hier zeichnet sich ein Wandel ab.

Der gerade zu Ende gegangene deutsche Ärztetag verabschiedete unter dem Eindruck der jüngsten Skandale um Brustimplantate und Problemen in der Endoprothetik eine Forderung nach strengeren Maßstäben für Medizinprodukte der höheren Risikoklasse III. Dies dürfte auch im Bereich der Dentalprodukte nicht ohne Auswirkung bleiben.

Ein weiterer Faktor kommt hinzu: Schon heute begründen Krankenkassen die Ablehnung einer Kostenübernahme bevorzugt mit fehlender wissenschaftlicher Evidenz. Auch bei Auseinandersetzungen vor Gericht achten Richter zunehmend auf die wissenschaftliche Basierung einer diagnostischen oder therapeutischen Maßnahme. Leitlinien und Belege nach den Prinzipien der EbD werden also zunehmend bedeutsamer.

Kritik begleiteten EbM, EbD und Leitlinien gleichwohl von Anfang an: Es sei „Kochbuch-Medizin“, die Ärzte zu seelenlosen Therapie-Automaten herabwürdige und randomisierte kontrollierte Studien (RCTs) zum Maß aller Dinge mache.

Dem widersprechen die Protagonisten der Evidenzbasierung mit Hinweis auf die Definition von Sackett. „Unser Ziel war, einen breiten therapeutischen Korridor für den praktisch tätigen Implantologen zu formulieren“, sagt DGI-Präsident Hendrik Terheyden, Kassel, der 2010 die erste Konsensuskonferenz der DGI zur Entwicklung von Leitlinien in der Implantologie zusammen mit über 50 niedergelassenen Praktikern und Wissenschaftlern aus 15 Fachgesellschaften und Verbänden auf den Weg gebracht hatte (siehe Kasten).

„Die Methodik der von uns angewandten ‚best available evidence’ ist auch für andere Länder interessant, weil die reine Evidenzbasierung (z.B. Cochrane Methodik) in der Implantologie häufig durch die geringe Anzahl randomisierter kontrollierter Studien limitiert ist“ so Terheyden.

Insbesondere in den chirurgischen Disziplinen, betont er, seien RCTs oft nur schwer oder gar nicht realisierbar. „Der Praktiker muss aber trotzdem heute schon Entscheidungen fällen und benötigt dafür in aufbereiteter Form die Informationen aus der Wissenschaft.“ Genau dies leiste die Methode der bestverfügbaren Evidenz. Denn bei fehlenden Studien greift das Konsensverfahren, an dem Experten aus allen relevanten Fachgesellschaften teilnehmen, wodurch die Majorisierung der Leitlinie durch einzelne „Eminenzen“ vermieden wird.

„Nicht vom Beginn an enthüllten die Götter uns Sterblichen alles;
Aber im Laufe der Zeit finden wir, suchend, das Bess’re.
Sichere Wahrheit erkannte kein Mensch und wird keiner erkennen
Über die Götter und alle die Dinge, von denen ich spreche.
Selbst wenn es einem einst glückt, die vollkommenste Wahrheit zu künden,
Wissen kann er sie nie: es ist alles durchwebt von Vermutung”
Xenophanes von Kolophon (580 v.Chr. – 470 v.Chr.)

Mit der Zahl der Leitlinien und angesichts der zunehmenden Deutungshoheit der Wissenschaft wächst indes seit einiger Zeit auch ein gewisses Unbehagen in der Zunft der Wissenschaftler selbst.

Zu beobachten ist eine sehr (selbst-)kritische Auseinandersetzung mit der evidenzbasierten Medizin. Plötzlich schwirren Fragen nach der Evidenz der Evidenzbasierung durch den Diskurs, mahnen Autoren wie Seth J. Baum, Florida, unlängst im Fachblatt Clinical Cardiology, dass Evidenz zwar Wissen liefere, aber keinesfalls die absolute Wahrheit.

Losgetreten hat diese Debatte der Epidemiologe und Mathematiker John P.A. Ionnidis, der in Boston an der Tufts University und an der University School of Medicine sowie an der Universität in Ioannina (Griechenland) lehrt. Er veröffentlichte 2005 eine Studie mit dem provozierenden Titel „Warum die meisten veröffentlichten Forschungsergebnisse falsch sind“.

Mit Hilfe eines mathematischen Modells hatte Ionnidis sehr zuverlässig vorhergesagt, wie hoch der Anteil jener Studien in verschiedenen Medizinbereichen ist, die später widerlegt werden: 80 Prozent der nicht-randomisierten Studien, 25 Prozent der randomisierten Studien und selbst zehn Prozent der großen randomisierten Studien. Allerdings ist dies auch ein Beleg für die Überlegenheit wissenschaftlich kontrollierter Studien im Vergleich zu Beobachtungsstudien mit mangelhaftem Design.

Im gleichen Jahr legte Ionnidis im renommierten Journal der US-amerikanischen Medizinerorganisation (JAMA) nach. Dieses Mal nahm er die Crème de la Crème unter die Lupe, nämlich jene 49 Arbeiten, die zu den meistzitiertesten und angesehendsten der Medizin in den zurückliegenden 13 Jahren gehört hatten.

In 45 Studien hatten die Autoren verkündet, effektive Therapien entdeckt zu haben. In 34 Fällen wurden diese Schlussfolgerungen in weiteren Studien überprüft – mit dem Ergebnis, dass 41 Prozent der getroffenen Aussagen nicht bestätigt werden konnten. Damit bestätigte Ionnidis, was zwar klar ist, aber immer wieder aus dem Blickwinkel gerät: Wissenschaft entwickelt sich auf der Grundlage ihrer Irrtümer und Fehlannahmen – mit entsprechenden Konsequenzen für die klinische Medizin.

Bei der Entwicklung von Leitlinien werden widersprüchliche Studienergebnisse zwar aufgearbeitet und bewertet – doch dies setzt voraus, dass positive und negative Befunde gleichermaßen publiziert und damit für die Bewertung von diagnostischen und therapeutischen Verfahren verfügbar sind. Dass dies erwiesenermaßen nicht der Fall ist, schreckt die Science Community inzwischen auf. Die Zeichen mehren sich, dass systematische Fehler („Bias“) das Fundament der Wissenschaft schleichend unterminieren.

In biomedizinischen Fächern sind aufgrund der Komplexität der Forschung statistische Verzerrungen häufig. Sind diese zufällig und finden sie in alle Richtungen statt, gleichen sie sich im Laufe der Zeit aus, wenn die Zahl der Untersuchungen steigt. Ebenso versuchen die Forscher, die verschiedenen Formen des Bias bei der Analyse der Studiendaten herauszufiltern.

Diese Kontrollmechanismen versagen indes dort, wo es um die Auswahl und Veröffentlichung von Studienergebnissen geht. Positive Forschungsergebnisse werden häufiger publiziert als negative. Das belegen inzwischen viele Untersuchungen.

Die Folge: In den Fachjournalen sind falschpositive Resultate systematisch überrepräsentiert.
Zunächst machten die Wissenschaftler dafür Firmen verantwortlich, welche die Veröffentlichung unliebsamer Forschungsergebnisse verhindern, um die Zulassung ihrer Produkte nicht zu gefährden. Strengere Richtlinien und die Offenlegung von Interessenskonflikten sollten dieses Problem lösen.

Inzwischen ist jedoch klar: Das Problem sitzt tiefer, nämlich in der wissenschaftlichen Kultur selbst, „die den Bias in eine bestimmte Richtung drängt“, schreibt Daniel Sarewitz von der Arizona State University Anfang Mai im Fachblatt Nature.

Wissenschaft werde unter der Prämisse betrieben, dass Fortschritt grundsätzlich mit der stetigen Produktion von positiven Ergebnissen gleichzusetzen sei, so Sarewitz. Daher fehle der Anreiz, negative Ergebnisse zu veröffentlichen, Experimente zu wiederholen oder Ungereimtheiten und Widersprüche deutlich zu machen. Außerdem würde der Versuch, systematische Fehler zu vermeiden, dazu führen, „dass sich die Forscher immer weiter von der komplexen Wirklichkeit entfernen, innerhalb derer die Forschungsergebnisse angewendet werden sollen.“

Während Sarewitz Experimente mit transgenen Mäusen als Beispiel für den wachsenden Abstand zwischen biomedizinischer Wissenschaft und ihrem Anwendungsumfeld aufführt, beleuchtet Seth J. Baum in seinem Kommentar die Aussagekraft kontrollierter klinischer Studien. Studien-Patienten werden nach strengen Ein- und Ausschlusskriterien ausgewählt und repräsentieren nicht die „normalen“ Patienten in der Praxis. Darum gelten die Schlussfolgerungen aus solchen Untersuchungen korrekterweise auch nur für Patienten mit dem Profil der Studienpatienten. Hinzu kommt, dass die Aussagen auf Durchschnittswerten basieren. In der EbM leitet sich die Evidenz von Durchschnittswerten einer Gruppe her, während der Arzt einen individuellen Patienten behandelt.

Kritiker wie Baum und Sarewitz setzen gleichwohl auf die Fähigkeit der Wissenschaft zur Selbstkorrektur. Diese könne jedoch nicht nur auf dem Wettbewerb zwischen den Forschern beruhen, schreibt Sarewitz in seinem Warnruf. Die Fähigkeit zur Selbstkorrektur basiere vielmehr auf den engen Beziehungen zwischen Wissenschaft und Praxis, die es ermöglichen, fehlerhafte und nutzlose Resultate auszusortieren.

Diese Selbstkorrektur der Wissenschaft hat bereits begonnen, wie aktuelle Veröffentlichungen in renommierten Fachjournalen zeigen.

„Ist es Zeit für medizinbasierte Evidenz?“, lautet etwa der Titel eines Editorials vor wenigen Wochen im JAMA. Der Autor John Concato, klinischer Epidemiologe an der Yale University in New Haven, räumt ein, dass besonders rigide Herangehensweisen der evidenzbasierten Medizin in jüngster Zeit modifiziert worden wären. Gleichwohl habe man eine ganze Generation von Klinikern gelehrt, dass es möglich sei, mit Hilfe randomisierter Studien die Wahrheit („truth“) zu finden, während Beobachtungsstudien inhärent fehlerhaft seien. Dabei sei, so Concato, diese Hierarchisierung nicht angebracht. Oft hätten RCTs nur eine limitierte klinische Relevanz. „Bei einer medizinbasierten Herangehensweise an die verfügbare Evidenz liegt der Schwerpunkt hingegen auf klinisch relevanten Aspekten und Fragestellungen“, schreibt Conato, „und nicht auf Hierarchien des Forschungsdesigns.“

Dass dieses Konzept sinnvoll ist, belegt das Journal gleich mit einer Serie von Arbeiten, bei denen Auswertung und Vergleich großer Beobachtungsstudien klinisch relevante neue Erkenntnisse lieferten. Und der Name für diesen neuen Ansatz wurde auch schon gefunden: „Comparative effectiveness research“ (CER). Diese Forschung vergleicht verschiedene Vorgehensweisen und nutzt dazu eine Vielzahl von Quellen, Verfahren und Methoden, um Ärzte und Patienten schnellstmöglich mit klinisch relevanten neuen Erkenntnissen zu versorgen. Vorangetrieben wird diese Entwicklung in den USA von einem eigens gegründeten Institut, dem „Patient-Centered Outcomes Research Institute (PCORI). Die evidenzbasierte Medizin erweist sich somit im besten wissenschaftlichen Sinn als offenes System, das aus Fehlern lernt.

„Selbst wenn uns die Vorstellung fasziniert“, schreibt Seth Baum, „dass wir mit evidenz-basierter Medizin in der Welt der Wahrheit leben, ist die wirkliche Wahrheit doch die, dass wir wenig wissen und dies akzeptieren müssen. Wissenschaft ist nie zu Ende, es ist eine evolutionäre Disziplin.“ Verdichtet ist diese Einsicht in einem Satz des französischen Schriftstellers und Nobelpreisträger für Literatur André Gide:  „Glaube denen, die die Wahrheit suchen, und zweifle an denen, die sie gefunden haben.“

Nachtrag: Unter Federführung von DGI und DGZMK wurden 2010 die ersten Leitlinien nach AWMF Kriterien in der deutschen Implantologie auf den Weg gebracht. Auch international sind dies die ersten Leitlinien auf diesem Gebiet. Veröffentlicht wurden die systematischen Reviews, Konsensusstatements und Empfehlungen der vier Arbeitsgruppen Ende letzten Jahres im Journal of Oral Implantology (2011; 4(Suppl):67-130.) Die Expertengruppen des Leitlinienprozesses haben vier Fragestellungen bearbeitet:

1.  Für welche klinischen Indikationen in der dentalen Implantologie ist die Verwendung von Knochenersatzmaterialien wissenschaftlich belegt?

2.  Welche prothetischen Behandlungsoptionen stellen ein evidenzbasiertes Konzept für die Versorgung des zahnlosen Oberkiefers, bezogen auf Anzahl und Position von Zahnimplantaten, dar?

3.  Welche Indikationen bestehen für eine dreidimensionale Röntgendiagnostik und bilddatengestützte navigierte Methoden in der dentalen Implantologie?

4.  Welche Maßnahmen sind sinnvoll zum Strukturerhalt des Alveolarfortsatzes nach Zahnextraktion?

Nach Ratifizierung in mehreren Runden durch die Fachgesellschaften ist bei drei der vier Fragestellungen zusätzlich die Verabschiedung von offiziellen AWMF Leitlinien geplant. In einem Fall ist dies bereits erfolgt. Unter dem Titel „Indikationen zur implantologischen 3D-Röntgendiagnostik und navigationsgestützte Implantologie“ ist eine S2k Leitlinie bereits im Register der AWMF publiziert.

Centre for Evidence-based Dentistry

 

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