Gemeinsam einsam
06 | 03 | 2014
TEXT Ingmar Dobberstein
“Reden ist Silber und Schweigen ist Gold” lautet eine der Weisheiten, mit denen ich groß geworden bin. Doch wie verhält es mit dieser Weisheit unter den modernen Aspekten der Kommunikation?
Teilen, mitteilen, teilnehmen lassen, gemeinsam machen, vereinigen – sind die Bedeutungen des lateinischen Ursprungswortes “communicare”, welches alle, zumindest unter heutiger Betrachtung die aktive Mitarbeit, der teilnehmenden und gemeinsam agieren wollenden Beteiligten, erfordert.
Aktives Schweigen? Ein Ausdruck der Rhetorik, der eng mit dem Begriff des aktiven Zuhörens verbunden ist. Zu häufig reden Menschen aneinander vorbei, alle das Beste wollend und auch im Sinne der Kommunikation Probleme lösen wollend. Und doch scheitern sie.
Probleme gemeinschaftlich anzugehen ist Segen und Crux zugleich. Natürlich sind die Ergebnisse gemeinschaftlich erarbeiteter und gelungener Kommunikation meist besser, als die des Einzelnen. Denn viele Köpfe bedeuten auch viele Perspektiven, die im Zweifelsfall eine komplexe Situation besser erfassen, analysieren und lösen können. Gemeinschaftliche Ansätze und Lösungen sind allerdings häufig auch Kompromisse, da allein im Kommunikationsprozess selbst weit mehr Bedürfnisse befriedigt werden müssen, als nur die sachliche Lösung des Problems.
Die Beteiligten wollen für ihre Mühe Anerkennung erfahren, sie wollen gewertschätzt werden und auch im Nachgang mit dem gefundenen Ergebnis verbunden werden. Dinge, die nichts mit dem ursprünglichen Problem zu tun haben müssen und viel mehr den beteiligten Persönlichkeiten und ihren inneren Konflikten und persönlichen Defiziten zuzuschreiben sind. Also doch lieber allein und dafür umso länger über Problemlösungen nachdenken?
Schön ist der Gedanke, wenn einen die Realität nicht immer wieder einholen würde. Zu oft sind wir so stark mit einem Thema, der Materie oder unseren Emotionen assoziiert, als dass wir uns allein von außen betrachten und damit auch die nötige Objektivität in ein Thema oder Problem bringen könnten. Und zu selten sind wir in Situationen wirklich allein entscheidungsfähig, ob in der Familie, der Beziehung oder dem Beruf. Fast ausschließlich agieren wir heute in Gemeinschaften, in denen Kompromisse, im Sinne des kleinsten gemeinsamen Nenners zwischen mehreren Menschen wesentlich öfter verhandelt werden müssen, als die eigentliche sachliche Problemlösung.
Ob es nun fehlende Anerkennung, Geltungsbewusstsein oder einfach ein großes Ego ist, das zusätzlich in die Kommunikation einfließt – wenn es am Ende wieder um das gemeinschaftliche Problem geht, gilt: “Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung.”
Was will ich eigentlich kommunizieren? Will ich überhaupt eine gemeinsame Lösung? Gibt es grundsätzlich genügend Schnittmengen bei den Bedürfnissen und Vorstellungen zu einer Problemlösung, als dass man sie überhaupt gemeinsam erarbeiten könnte?
Wenn derartige Fragen einen Konsens finden, könnte man eigentlich loslegen, wenn dann nicht die nächste Hürde der Kommunikation im Weg stehen würde – das eigentliche Gespräch, der Umgang, die Auseinandersetzung mit dem Anderen. Denn auch hier verbergen sich die gleichen Grundbedürfnisse, die schon zuvor die sachliche Bearbeitung behinderten. Ist man respektvoll miteinander, trifft man die richtige Tonlage, verwendet man die richtigen Wörter? In gleicher Weise spielen hier viele persönliche Erfahrungen und unter Umständen auch Traumata der Kommunizierenden hinein, dass genau genommen jeder Versuch der Kommunikation zwischen Menschen ein Fettnäpfchenslalom ist.
Natürlich ist das leichter, wenn man sein Gegenüber gut kennt, nur kommunizieren wir nicht nur mit unseren besten Freunden. Außerdem kennen wir unsere Familie meist am besten und gerade da treten nicht selten Missverständnisse in der zwischenmenschlichen Kommunikation auf.
Also doch lieber schweigen. Zuhören und einfach weiter machen, wie man es selbst für richtig hält. Kann das die Lösung sein? Sicherlich, und genauso wird es auch vielfach gemacht, nur leider ist man in der Gemeinschaft dadurch keinen Schritt weiter und der nächste Konflikt ist vorprogrammiert. Wenn also schon schweigend, dann mit dem echten Bedürfnis, den Anderen zu verstehen und auf ihn und seine Wünsche einzugehen. Das erfordert allerdings die Fähigkeit, sich selbst zurückzustellen, manchmal für die Zeit des Zuhörens, manchmal für den gemeinschaftlichen Kompromiss und manchmal auch für immer.
Wie in so vielen Bereichen kommt es hier auf die Balance an. Stelle ich meine Bedürfnisse immer zurück, werde ich mich selbst in den Kompromissen auf Dauer nicht wiederfinden können. Ich werde mich weder mit dem Problem, noch dessen Lösung identifizieren können. Aus diesem Grund lassen sich Menschen scheiden, Firmen zerteilen sich, Freunde gehen nach vielen Jahren getrennte Wege – die Mission Kommunikation ist gescheitert.
Schweigen allein reicht also nicht. Es kann in stoisch ausgeführter Form auf Dauer auch als stille Zustimmung gewertet werden, auch wenn es vielleicht nur Konfliktvermeidung ist. Wenn schließlich keine Konflikte mehr entstehen, kann mein gegenüber deren Vermeidung auch nicht mehr wertschätzen und wertet dieses Verhalten im schlimmsten Fall als Nichtbeteiligung. Am Ende beschweren sich beide Seiten, die eine über Desinteresse, und die andere über unbefriedigte Bedürfnisse.
Kommunikation hat ein Ziel. Wenn wir dieses allein erreichen wollen, bleibt uns maximal der innere Dialog. Also erfordert Kommunikation immer mehrere Beteiligte. Gestalten kann man dies nur, indem man sich einbringt, gleichermaßen. Dies erfordert ebenso aktives Schweigen, wie Mitsprache. Auch wenn man all die persönlichen Emotionen, Erfahrungen und Traumata nie vollständig ausklammern kann hilft es, sich derer bewusster zu werden. Das Ergebnis wird sein, dass man das Gesagte seines Gegenübers weniger persönlich nimmt, als vielmehr auf die Sache bezieht. Durch Schweigen ist am Ende bisher noch kein Problem gelöst, sondern maximal nur vermieden worden.
Fakt ist, dass wir im Kommunikationsprozess viel über uns selbst lernen können, da wir durch ihn permanent reflektieren. Die einen, in dem sie von ihrem Gegenüber lernen und andere Perspektiven aufnehmen, die anderen, in dem sie ihre unbewussten Konflikte und Defizite auf die andere Person projizieren. Egal zu welcher Gruppe man gehört, wenn man sich zwischendurch immer mal wieder auf das Ziel besinnt, ist alles möglich. Denn Kompromisse bedeuten Gemeinschaft, Problemlösung ist Veränderung und Reden hilft.
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