Wenn das Wort ohne Körper ist
06 | 03 | 2014   

TEXT  Erik Weigel

Die Mittel moderner Kommunikation werden immer körperloser, die physische Anwesenheit Kommunizierender immer unnötiger. Noch nie waren wir in diesem Ausmaß in der Lage, mit Mitmenschen auf der ganzen Welt zeitnah kommunizieren zu können, ohne ihnen gegenüber sitzen zu müssen. Gleichzeitig thront die Bedeutsamkeit des Wortes über allen anderen Kommunikationsebenen. Ein Artikel über die Schwierigkeiten der Körperlosigkeit und der Autorität von Schrift.

Kommunikation besteht nur zu einem sehr geringen Anteil aus dem tatsächlich Gesprochenen. Bewusst und insbesondere unbewusst sendet unser Körper während der Rede oft die eigentlich essentiellen Botschaften aus, die ebenso weitgehend unbewusst von dem Gegenüber wahrgenommen werden.

Der eigentliche Wesenkern einer Aussage ist danach nur dann vollständig, wenn wir den Körper des Sprechenden tatsächlich erleben. Erleben bedeutet, wenn seine Lebensbefindlichkeiten innerhalb des Sprechakts für den Empfänger sichtbar mitschwingen: Stimmlage, Stimmung, Pausen, Körperhaltung, Pneumatik, Gestik, Mimik und der Geruch.

Jahrtausende evolutionäre Entwicklung haben ein sensibles System entwickelt, das all diese Zeichen lesen kann. Allein die Geruchsempfindlichkeit unserer Nasen ist vielschichtiger als das meiste Ausgesprochene.

Allerdings gehört es zum Paradigma unserer Zeit, dass dem Gesprochenen mehr Bedeutung beigemessen wird, als dem Lesen dieser körperlichen Zeichen. Das mag damit zu tun haben, dass das Gesprochene aufgrund der vordergründigen bewussten Wahrnehmungsebene unmittelbarer zu handhaben ist, als das sich unterbewusst abspielende. Dabei bekunden Kommunikationspsychologen, dass unser archaisches Unterbewusstsein jenseits vom Gesprochenen schon längst über den Sprecher entschieden hat. Und dies orientiert sich an Faktoren, über die wir kaum Kontrolle haben, wie zum Beispiel den individuellen Körpergeruch. Wir spüren, wenn wir jemanden einfach nicht riechen können.

Während der kulturell bedingte Vernunftaspekt also noch fleißig den Sprechinhalt bewertet, hat unsere Nase schon längst die wesentlichen Entscheidungen über Sympathie und Antipathie getroffen.

In Fragen der Partnerwahl sind diese archaischen Muster besonders interessant. Nicht allein ein freier Wille und die eigene Vernunft entscheiden, ob eine Dame einen Aspiranten mag, sondern die Nase und die Augen fällen auf nicht zu unterschätzende Weise die ersten maßgebenden Urteile. Besonders grotesk ist dabei, das es wesentlich vom weiblichen Zykluszeitpunkt abhängt, wen sie sympathisch findet und wen nicht. Die Antibabypille wiederum irritiert diese unterbewussten Urteile aufgrund des veränderten Hormonbildes einmal mehr, so dass ein eigentlich nicht passender Mann irgendwann vorm Altar steht.

Der Körper, seine Gerüche, sein Verhalten und seine Befindlichkeiten sind somit das wichtigste Kommunikationsarsenal. Der Großteil unserer Kommunikation findet auf dieser nicht-sprachlichen Ebene der Körpercodes statt. Diese einfache Wahrheit minimiert die Aussagekraft des Sprechinhalts auf einen beleidigend geringen Stellenwert, und damit auch den der Sprache anhaftenden Erhabenheitshabitus.

Das Internet ist ein Ort, an dem wir auf das reine Wort als Geschriebenes angewiesen sind, während der Körper komplett ausbleibt. Seit das Internet massentauglich wurde, schrieb man eifrig drauf los: in Chats, in ersten groben Instant Messangern, in Social Networks. Doch innerhalb dieser neuen Kommunikationsform kam es schnell zu sprachlichen Reibungen. Die sonst gewohnte Sprechsprache lahmte im Internet, welches weder der Langsamkeit einer Briefform unterlag, noch der Schnelligkeit des gesprochenen Wortes. Während also auf der einen Seite die tippenden Hände zu langsam waren für die Mündlichkeit, war auf der anderen Seite die Onlinekommunikation zu schnell für die bisher gewohnte Schriftlichkeit.

Die Niederschrift von Mündlichem führt zu interessanten Schwierigkeiten, die mit dem Ausbleiben der Körpersignale korrelieren. Niederschrift bedeutet nicht nur Wissenskonservierung, sondern sowohl Tod, wie auch Neu-Geburt. Im Mittelalter gab es zur Unterhaltung der Aristokratie den höfischen Minesänger, der – mit und ohne musikalische Begleitung – epische Helden und deren Taten anpries. Von Ehre durchtränkte Helden wurden besungen, die sich mutig ihren garstigen Kontrahenten stellten, um die Gunst ihres Liebchens buhlten, verwunschene Orte durchschritten und mystische Figuren bezwangen.

Perfekte Vorbilder für die Ritter eines höfischen Banketts und erstrebenswerte moralische Leitbilder: Ehre, Mine, Mut, Treue. Die narrative Qualität vieler dieser Gesänge war so konservierungswürdig, dass man sich motiviert sah, sie niederzuschreiben. So entstanden für uns wertvollste Dokumentationen des mittelalterlichen Lebens, die uns nicht nur intimen Einblick über die damaligen kulturellen Codes vermitteln, sondern auch wissenschaftliche Diskussionen darüber befeuern, was innerhalb dieser Geschichten Fakt und was Fiktion ist. Haben Sie schon mal versucht den Nibelungenschatz zu finden?

Jedoch bewirkte dieser Verschriftlichungsprozess auch, das der Gesang selbst, also die Körperlichkeit des Singenden, abhanden kam. Dem Text fehlt der Körper: Man hört nicht mehr des Sängers sich vor Wonne überschlagende Stimme, wenn der Held sich wieder einmal aus der verfahrenen Situation rettet. Man sieht nicht mehr, seine wild gestikulierenden Arme an den karthatischen Momenten der Geschichte. Man erlebt nicht mehr, die gesteigerte Atmung des Sängers, wenn es zum Kampf kam. Man konnte auch nicht mehr interagieren, in dem man den Sänger aufforderte, diesen oder jenen Punkt noch einmal ausschmückender darzustellen.

Der Tod besteht jeweils darin, dass beim reinen Leseakt diese Sinnlichkeiten zugunsten anderer Qualitäten verschwinden. Das Lesen stülpt unweigerlich die eigene Stimme über den Text. Stimme bedeutet in diesem Fall ebenso die eigene Befindlichkeit, die eigene Situation, den eigenen Ort, die eigene Vorstellungskraft, das eigene Vokabular und die eigene Zeit. Der Text verändert sich innerhalb eines jeden Menschen, der ihn liest. Im Grunde genommen verändert sich das Erzählte aber schon in jenem Moment, in dem der Autor den Stift oder die Maschine bedient, mit denen er die Gedanken niederlegt. Die Hand ist immer langsamer als der Gedanke.

Obwohl es im Internet nicht um epische Poesie geht, begegnen uns die Schwierigkeiten einer Verschriftlichung dort wieder. Im Internet ist plötzlich jeder ein Autor von oft allgemein zugänglichen Texten. Damit einhergehend ergibt sich der beschriebene Verlust von Stimme, Atmung, Betonung also insgesamt der körperlichen Präsenz. Und dieser vermeintlich einfache Unterschied, kann zu wesentlichen kommunikativen Komplikationen führen. Nämlich immer dann, wenn das Geschriebene nur in Kombination mit den Körperlichkeiten des Schreibenden richtig verstanden werden kann.

Während man bei konventioneller, also persönlicher face-to-face Kommunikation Facetten wie Ironie, Feierlichkeit, Rage oder Freude instinktiv miterlebt, bedarf es beim bloßen Schreiben immer einer Erläuterung der eigenen Befindlichkeit. Mit Befindlichkeit ist die orts- und zeitabhängige Stimmung: wir wissen nicht, ob der Schreibende gerade entspannt in der Karibik am Strand liegt oder auf einem Speed-Metal Konzert in Berlin ist, ob er traurig aussieht oder euphorisiert oder sich grämt. Das Internet verwischt die Grenzen von Ort und Zeit. Besonders in Zeiten, wo es immer angenehmer vom Handy aus zu bedienen ist, also nicht mal ein zu-Hause-sein notwendig ist.

Emoticons galten als ein erstes primitives Instrumentarium, um online stimm-tonale Dimensionen des Geschriebenen zu akzentuieren. Entgegen der Kritik vieler verbissener Eloquenzfetischisten, haben sich Herzchen, Smileys und Augenzwinkern interessanterweise als bedeutungstragende Schrift-Codes bewährt, um verschiedene Gefühlsfacetten kurz anzuzeigen.

Hinzu kommt, dass phänomenologisch gesehen öffentlich Niedergeschriebenes in der Vergangenheit oft den Anstrich einer Wahrheit oder eines Gesetzes hatte. „Es steht geschrieben…“ war immer das Anzeichen für eine waltende Autorität, für ewig Gültiges. So sehen sich einige durch sprachliche Präzisionsbemühungen dazu verpflichtet, in ihrem Geschriebenen diese Genauigkeit auch Online zu kultivieren. Dieses eigentlich edle Bemühen scheitert oft dadurch, dass es sich in vermeintlichen Generalformeln artikuliert, deren Sachlichkeitsanspruch übertriebene Ausmaße annehmen kann. Tief verhangen in einer kulturell tradierten Schriftautorität erkaltet dadurch jede Kommunikationslebendigkeit zugunsten eines bigotten Recht-habens an einem dafür total deplazierten Ort. Im Volksmund nennt man das Haare spalten oder Korinthen kacken.

Vielmehr hat man das Gefühl, das insbesondere die Generation, die mit dem Internet aufgewachsen ist, eine sehr befreite, leichte Art der Rede etabliert hat, die weitgehend unprätentiös daherbrabbelt. Diese Befreiung ist insofern subversiv, als dass sachliche Präzision weitestgehend aufgegeben wird zugunsten einer momentanen Emotionalität. Dies ist kein Verlust, sondern ein Gewinn. Auch die Sorge, neue Technologieformen würden den persönlichen Kontakt verkümmern lassen haben sich als falsch erwiesen. Internetkommunikation hat sich als eigenes Phänomen neben dem persönlichen Kontakt etabliert und begünstigt sich gegenseitig.

Die eigentlichen Schwierigkeiten ergeben sich nicht durch die Benutzung technischer Apparate, sondern durch die damit implizit mitschwingenden technischen Denkweisen. Nicht derjenige unterliegt einer technischen Verstellung, der gerne chattet, sondern vielmehr derjenige, der dem rein Ausgesprochenen das alleinige Bedeutungsmonopol beimisst. Die Dominanz des Ausgesprochenen, die Autorität des Wortes destruiert innerhalb vieler Kommunikationen die Aspektsichtigkeit für die damit einhergehenden körperlichen Zeichen. Obgleich Körpersprache weitestgehend unterbewusst funktioniert, sind wir trotzdem in der Lage, wissenschaftliche Erkenntnisse, die uns lehren, wie der Körper kommuniziert, ins Bewusste zu transferieren und damit gleichsam zu arbeiten. Das FBI schult sein Personal gezielt darin, anhand von Körpersignalen die Lüge eines Verdächtigen anhand gesendeter Körpersignale zu entlarven. Es bedürfte enorme körperliche Selbstbeherrschung, um unbemerkt zu lügen.

Der Körper verrät und demaskiert uns. Wir können uns nicht verstecken. Er zeigt, ob wir jemanden mögen oder nicht. Ob wir jemanden anhimmeln oder abstoßen. Er offenbart, ob wir versuchen, eine Schwäche zu kaschieren. Ob wir Opfer eines Überfalls werden könnten oder ob wir vor Selbstsicherheit strotzen. Unser Gemüt erst macht uns attraktiv jenseits der medialen Schönheitsschablonen oder macht einen attraktiven Menschen unsagbar hässlich. Erstrebenswert wäre, das Lesen von Körpersprache zu erlernen und so weit wie möglich einer breiten Masse bewusst zu machen, so dass wir einfühlsamer mit unseren gegenüber kommunizieren können. Dazu gehört auch, die Bedeutung des bloß Geredeten zugunsten einer sinnlicheren Rezeption des Sprechers zu relativieren.

Insbesondere Ärzte sollten diese Körpersprache zur Verbesserung des Patientenverhältnisses beherrschen. Die mit dem Arztbesuch einhergehende fragile Intimität ist im hohen Maß beeinflusst von dessen Fähigkeit, die körperlichen Zeichen des Patienten zu erkennen und mit ihnen zu arbeiten. Wenn also das nächste Mal ein Patient trotz seiner mutigen Beteuerungen zuckt, zappelt und Angstschweiß auf der Stirn hat: Seid lieb zu ihm.

 

UN-PLAQUED MAG 18  auch als e-Paper lesen

 



Kommentar abgeben: