Warum du nicht glaubst, was ich sage…
06 | 03 | 2014
TEXT Karen Dobberstein
Nonverbale Kommunikation interessierte mich schon immer, anfangs im Kontext der Bühnenarbeit im Darstellenden Spiel-Kurs in der Schule. Schauspielerei bedeutete für mich sich zu verkleiden, verschiedene Rollen mit Mimik und Gestik auszufüllen und Texte theatralisch aufzusagen. Später lernte ich, dass jeder Mensch im Alltag schauspielert und verschiedene Rollen besetzt. Das ist in gewisser Weise nützlich und sinnvoll, weil man Fremden nicht unbedingt jede Schwäche zeigen will und darf. Verschiedene Rollen einzunehmen gibt Struktur und erleichtert den Umgang mit anderen Menschen. Der Unterschied zwischen Außendarstellung und echtem inneren Zustand darf allerdings ein bestimmtes Ausmaß nicht überschreiten, weil die Grenzen zwischen echt und unecht verschwimmen können. Wenn sich ein Mensch zu sehr von sich selbst entfernt, ist die psychische und physische Gesundheit in Gefahr.
In der neueren Zeit wurde mein Interesse für nonverbale Kommunikation durch die Fernsehserie „Lie to me“ geweckt, denn wir lügen durchschnittlich mehrere Male am Tag. Die meisten davon fallen in die Kategorien „Notlüge“ oder „soziale Lüge“, vorwiegend um die Privatsphäre zu schützen oder die Harmonie in einem sozialen Umfeld nicht zu gefährden. Lügen haben dabei eine wichtige soziale Funktion, sie erhalten bzw. fördern Beziehungen. Wenn in Selbstexperimenten Personen für kurze Zeit radikale Ehrlichkeit praktizieren, hat das nachgewiesenermaßen negative Auswirkungen auf deren Beziehungen. Die Erfahrung zeigt, dass Frauen doch meist nicht damit umgehen können, wenn man ihnen sagt, dass ihr Hintern in dieser Hose zu dick sei. Ein bisschen Schönfärberei und Ironie ist also erlaubt und macht zwischenmenschliche Begegnungen interessant.
Wie aber wäre es, die wichtigen Lügen unter ihnen zu erkennen? Beispiele dafür sind, wenn Liebe beteuert wird, obwohl nur noch Abneigung übrig ist, wenn Hilfe abgelehnt, aber dennoch benötigt wird oder der geschulte Verkäufer einem etwas aufquatscht, was man überhaupt nicht braucht. Es lohnt sich, die Aufmerksamkeit für nonverbale Kommunikation zu schulen. Dadurch können wir unsere Umwelt besser verstehen und somit auch erfolgreicher kommunizieren.
Ein Blick in den Spiegel
Eine meiner neuesten alten Erkenntnisse ist, dass ich mich selbst eher nicht so wahrnehmen kann, wie andere Menschen mich sehen. Die Psychologie spricht in diesem Fall von Selbst- und Fremdwahrnehmung. Sogar der Blick in den Spiegel ist lediglich ein verdrehtes Abbild meiner selbst und unterscheidet sich deutlich von der tatsächlichen Außenansicht wie auf einem Foto.
Nonverbale Kommunikation ist sehr subtil und Menschen benutzen sie oft unbewusst und ganz selbstverständlich. Verantwortlich dafür sind unter anderem Spiegelneurone, die uns fast automatisch – zumindest wenn ein „guter Draht“ besteht – Körperhaltung, Mimik und Gestik unseres Gegenübers spiegeln lassen. Das kann sich bis auf den gleichen Atemrhythmus bei Paaren auswirken, vorausgesetzt beide Partner sind auf derselben „Wellenlänge“. Auch der Geruchssinn entscheidet autonom mit, wie andere Personen wahrgenommen werden. Ob man jemanden gut riechen kann oder nicht, hängt allerdings von weitaus mehr Faktoren ab.
Die Redewendung „wenn Blicke töten könnten“, drückt beispielhaft aus, wie kraftvoll und ausdrucksstark nonverbale Kommunikation sein kann. Die Veränderung der Pupillengröße ist ein wichtiges nonverbales und autonomes Signal. Vergrößerte Pupillen drücken Wärme und Nähe aus, hingegen vermittelt eine kleine Pupillengröße Abneigung und Desinteresse. Menschliche Tränen lassen ebenso vielfältige Interpretationen zu, sie können Schmerz, Trauer oder Freude ausdrücken und sind von außen manchmal schwer zu differenzieren.
Joe Navarro hat mittlerweile sein zweites Buch zu diesem Thema veröffentlicht. Ich muss gestehen, der Titel „Menschen verstehen und lenken“ hat mich eher zurückgehalten, da trotz oder gerade wegen meines Psychologiestudiums das Wort „Lenkung“ oder „Manipulation“ Ablehnung in mir hervorruft. Auf der anderen Seite lassen wir uns so oft, so viel und praktisch überall manipulieren, ob wir wollen oder nicht. Das Gehirn nimmt wesentlich mehr Reize unbewusst wahr als es bewusst verarbeiten kann. Das Identifizieren von solchen Manipulationen kann trainiert werden und erlaubt einem die Kontrolle in bestimmten Situationen zu behalten. Des Weiteren kann es auch die Wahrnehmung für die eigene Körpersprache und das eigene Erleben und Verhalten verbessern.
Joe Navarro beschreibt Nonverbales in einem viel größeren Kontext. Die Kleidung und das Auftreten eines Geschäftspartners ist ebenso Ausdruck nonverbaler Kommunikation, wie die Außenfassade der Firma, das Sicherheitspersonal, der Empfang und die Aufmerksamkeit, die dem Kunden geschenkt wird. Diese wesentlichen Aspekte beeinflussen das Wohlbefinden und die Meinung über einen Geschäftspartner und seine Firma ungeachtet aller sachlichen Informationen maßgeblich.
Navarro spricht in diesem Zusammenhang von nonverbaler Intelligenz. Ähnlich dem Konzept der emotionalen Intelligenz scheint die Fähigkeit nonverbale Signale zu dekodieren ein wichtiger Faktor zur erfolgreichen zwischenmenschlichen Kommunikation zu sein und im größeren Kontext zu einem kongruenten, glücklichen und gesunden Leben beizutragen.
Es existiert die Idee, dass ca. 90 % der zwischenmenschlichen Kommunikation nonverbal stattfindet. Mehr oder weniger ist das auch der Fall.
Albert Mehrabian fand in seinen Studien heraus, dass 55% der zwischenmenschlichen Kommunikation über nonverbale Signale ablaufen, 38% repräsentieren die stimmliche Komponente und nur 7% stellen den Inhalt dar. Die nonverbale Komponente bezieht sich hier vor allem auf die Mimik, obwohl auch die Gestik dazu gezählt werden kann. In der Gebärdensprache reicht Gestik allein aus, um sich verständlich zu machen. Hier bildet sie sogar 100% der zwischenmenschlichen Kommunikation ab. Die stimmliche Komponente, welche ebenfalls zur nonverbalen Kommunikation zählt, bezieht sich auf die Tonlage, Schnelligkeit, Intonation und Modulation der Stimme. An Untersuchungen mit Hunden wurde gezeigt, dass beleidigende Worte in einer liebevollen Stimmlage gesprochen vom Hund positiv wahrgenommen werden.
„Das Schwierigste im Leben ist, Herz und Kopf dazu zu bringen, zusammenzuarbeiten. In meinem Fall verkehren sie noch nicht mal auf freundschaftlicher Basis.“ (Woody Allen)
Wenn alle drei Anteile der Kommunikation übereinstimmen, spricht man von kongruenter Kommunikation. Inkongruenz hingegen findet sich ähnlich den Lügen im Alltag häufiger, zum Beispiel wenn wir laut „Ja“ zu etwas sagen und gleichzeitig unmerklich den Kopf schütteln. Welches Signal ist wahr?
Leider lassen sich gewisse Inkongruenzen wahrscheinlich nicht vermeiden. Wenn man in der Dienstleistungsbranche den ganzen Tag nett lächeln und auch auf nervige Kundenfragen freundlich reagieren muss, ist ein eingefrorenes, unechtes Lächeln manchmal unumgänglich. Dabei können genau diese Inkongruenzen auf Dauer Stress auslösen.
Ein Klassiker der Körpersprache ist das nonverbale Signal der verschränkten Arme, welches weitläufig als Ausdruck für eine ablehnende Haltung bekannt ist. Körpersprache und nonverbale Kommunikation sind dabei nicht immer so eindeutig, wie sie scheinen. Verschränkte Arme können ebenso ein Zeichen für Kälteempfinden sein und helfen, die Körperwärme zu erhalten. Diese Gestik kann aber auch eine Selbstumarmung anzeigen, umso deutlicher, wenn die Handinnenflächen direkt auf den Armen liegen.
Eine eher philosophische Frage ist, ob sich nonverbale Kommunikation nur auf zwischenmenschliche oder tierisch-menschliche Interaktion bezieht. Theoretisch ja, aber praktisch gibt es viele nonverbale Signale, die ebenso das eigene Wohlbefinden beeinflussen.
Wie kleide ich mich heute? Wie ordentlich und sauber ist meine Wohnung oder mein Arbeitsplatz? Bin ich angespannt oder sind meine Muskeln entspannt? Lasse ich meine Schultern hängen oder stehe ich aufrecht da?
Ich kommuniziere zuerst mit mir selbst und dann mit dem Anderen, denn nicht zuletzt fühlen wir uns in der Gegenwart von Jemandem, der herzlich und gelassen mit sich selbst umgeht sehr wohl.
Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“ (Antoine de Saint Exupery)
Zwischenmenschliche Kommunikation ist ohne nonverbale Kommunikation nicht denkbar. Paul Watzlawicks bekannter Ausspruch „Man kann nicht Nicht kommunizieren“ scheint besonders für Nonverbales zutreffend zu sein. Die Interpretation oder Bedeutung der Botschaft liegt allerdings größtenteils beim Empfänger und nicht beim Sender. Deswegen kann man sich sehr gut mit jemandem unterhalten, obwohl man eigentlich aneinander vorbeiredet.
Ich empfehle, trotz oder gerade wegen notwendiger Lügen im Alltag, mit einem offenem Herzen zu kommunizieren. Das bedeutet, sofern es möglich ist, eine liebevolle Grundhaltung einem Gesprächspartner gegenüber zu haben. Ein achtsamer, wertschätzender Umgang mit uns selbst macht am Ende das Leben mit unseren Mitmenschen angenehmer, leichter und verstehbar.
UN-PLAQUED MAG 18 auch als e-Paper lesen
Kommentar abgeben: